Liebes Tagebuch…
Samstag 29.08.2020
Mein heutiger Wachzustand beginnt um 5:45 Uhr, Opa hätte jetzt seinen Kommentar dazu abgegeben. Für sommerliche Verhältnisse ziemlich spät für mich in diesen Zustand zu gelangen. Liegt daran, das die Balzrituale der gefiederten Winzlinge zur Neige gehen. Nichts desto trotz schafft es ein größerer Artverwandter mich vom Schlafen abzuhalten. Ich vermute das Gurren aus den gegenüberliegen Bäumen stammt von einer Taube. Ich höre mir diese monoton immer wiederkehrenden Gurrtöne gut eine Stunde an, bis ich, wie von einer springenden Schallplatte, genervt aufstehe. Zugegeben, es lohnt sich nicht mehr liegen zu bleiben, heute ist eine längere Tour geplant, die für mich am naheliegenden Beverdamm um 8 Uhr startet.
Ich stelle mich ans weit geöffnete Fenster um die Herkunft der vermeintlichen Taube zu lokalisieren.
Wildes, eher unbeholfenes Geflatter ertönt aus den Bäumen, kurz darauf landet tatsächlich eine Taube auf der kleinen Straße, die unser Haus vom Wald gegenüber trennt. Erwartungsvoll schaut das Federvieh in meine Richtung während es sich im Zickzack auf der Straße in meine Richtung bewegt.
Das blöde Vieh denkt wohl ich bin eine von diesen schrumpeligen Ommas die ihr gleich Brotkrumen zuwerfen. Ich weiß selber das ich grau geworden bin und ich morgens ein zerknittertes Gesicht habe.
Frechheit !!! Die Rache für diese Unverschämtheit erscheint in Gestalt eines grün lackierten LKW mit Raiffeisen Schriftzug, der alle paar Wochen den benachbarten Bauernhof mit Futterzusatz, Antibiotika oder sonst was versorgt. Perfektes Timing. Hat ihn wohl nicht gehört, war wohl eine taube Taube.
Ich male mir gerade aus wie die Sache wohl ausgegangen wäre wenn mein Nachbar mit Gehörschutz seine Hecke straßenseitig mit seiner prämierten Motorheckenschere vergewaltigt. Ein Lächeln macht sich in meinem Gesicht breit. Der Tag kann beginnen.
Die Reihenfolge der jetzt anstehenden Tätigkeiten verläuft schon erschreckend maschinell anmutend. Zähneputzen, Gesicht mit kaltem Wasser entknittern, runter in die Küche Kaffee ansetzen, raus zum Moped, Haube runter und in Startposition stellen. Zurück ins Haus nach oben Klamotten anziehen, wieder runter ans Handy und Infos zum Forentreffen checken. Ich trinke drei Becher Kaffee, obwohl mir eigentlich bewusst sein sollte, das es in den nächsten 60 Minuten dadurch durchaus zu Verzögerungen im Zeitplan kommen könnte.
Es ist soweit, Starknopf drücken und das Biest ist wie gewohnt sofort da. Gut, ich hätte noch zwei Minuten warten können, der Nachbarn zuliebe, aber war für die jetzt halt mal was anderes, als das Glockengeläut der Versammlungsgebäude der gesamten Glaubensgemeinschaften des Ortes.
Ich fahre nur wenige Kilometer die leicht kurvige Strecke zum Beverdamm hinauf und erkenne zwei Probleme. Das eine ist das beschlagene Visier, das auf Grund der hohen Luftfeuchtigkeit meine Sicht vernebelt. Also Visier leicht öffnen und hoffen das mir die kalte Luft keine Nebenhöhlenentzündung beschert. Das zweite Problem läßt sich auf die Schnelle nicht so leicht lösen, der verschlissene Vorderradreifen. Und da ist er auch wieder, der Moment, an dem ich den Tag verfluche, als man mir während meiner Wehrdienstzeit meinen Spitznamen verpasst hat: Mäc. Ich hätte mir jetzt gewünscht, das ich doch einmal über meinen Schatten gesprungen wäre und der Front meines Bikes einen neuen Reifen verpasst hätte.
Am Beverdamm treffe ich auf JDF. Kurzer Smalltalk über eine rosa Zahnbürste, die wohl aktuell an einer Landstraße im tiefsten Sauerland liegt und auf geht es Richtung Biggesee. Trotz zwei baustellenbedingter Straßensperrungen sind wir wie verabredet um 9 Uhr am Biggegrill.
Dort treffen wir uns mit Dude, Derda und Manitu. Etwas bollerndes, gelbes stößt noch hinzu, eine italienische rassige Diva, die neuste Errungenschaft von Türkisch Rossi. Ja, Ducati, das war auch immer mein Traum. Nur die Vernunft und einige Berichte über die Zicken der Diven haben mich immer davon abgehalten. Ich habe den Anschein, als ob einige Beziehungen nur funktionieren, wenn ein Part immer Stress macht. Aber das ist wahre Begeisterung oder Liebe.
Es geht gleich los, in ein kaum bewohntes Gebiet, mit einem weinig erforschten Volk, man spricht von wilden Rituale und mystischen Sagen, gepaart mit einer Abneigung gegen motorisierte Zweiräder…. es geht ins Sauerland. Aus den Großstädten des Ruhrgebietes gibt es Berichte von Mutanten in Menschengestalt die auf Grund genetischer Unregelmäßigkeiten entstanden sind, deren Ursache ich mich nicht wage auszusprechen.
Es gibt eine „Sauerlandregel“: Immer in Bewegung bleiben, nicht stehen bleiben, wie im Jurassic Park.
Die mutigsten unserer Forenmitglieder haben es geschafft so etwas wie einen Brückenkopf in Hallenberg zu errichten. Wir sechs gehören zur Nachhut, die lediglich eine Tagesinspektion durchführt.
Ich bringe noch den leeren Kaffeepott zurück zum Bütchen und muß blöderweise genau jetzt erst daran denken, das der in Summe vierte Kaffee eine scheiß Idee war.
Los geht es, ich führe vorerst die Rotte an. Die gelbe Ducati fährt vorteilhafter weise hinten, sie ist im Rückspiegel auch auf größerer Entfernung sehr gut erkennbar. Wenn sie verschwindet werden wir somit alle in Alarmbereitschaft versetzt.
Über die leeren Landstraßen läßt es sich herrlich fliegen, es geht gut voran.
Wir durchfahren Welschen-Ennest, ungefähr ab hier beginnt der Teil der Reise, der ein wenig Unbehagen und Angespanntheit in mir auslöst, nicht nur wegen den Erzählungen aus dem Ruhrpott.
Immer in Bewegung bleiben, nicht stehen bleiben!
Endlich, ein Rottenmitglied gibt Zeichen das jede weitere Unebenheit im Straßenbelag zum Kurzschluss seiner Elektrik führen könnte. Wir stoppen an einem verlassenen Gelände mit mehreren verrosteten Stahlcontainern. Die Marschunterbrechung wird nicht nur von mir ausgenutzt.
Hinter den Containern riecht es nach Verwesung. Ich stelle mir die Frage, wie viele sind ins Sauerland gegangen und nie wieder zurückgekommen?
Während wir uns für die Weiterfahrt vorbereiten, werden wir von JDF gebeten einen Geldautoamten anzusteuern, Kreditkarten haben in diesem Teil Deutschlands wohl einen schweren Stand. Na gut, aber nur an einem belebten Ort, das gibt uns Sicherheit. Ich glaube es war in Fleckenberg, als wir eine kleine Sparkassenfiliale erspähten. JDF sprang vom Bike, doch nach nicht einmal einer Minute kam er überraschen schnell wieder, setzte sich hastig aufs Bike und war startklar. Wie viel Geld hat er abgeholt? Alles? Müssen wir fliehen? Aber scheinbar hatte er sich die „Sauerlandregel“ ins Gedächtnis gebrannt, es konnte sofort weitergehen.
Wir durchfahren Oberkirchen, vor uns liegen noch einige kurvenreiche Kilometer bis Winterberg, was unserm Ziel, den Stützpunkt Hallenberg sehr nahe ist.
Am Ortsausgang erkenne ich ein verhasstes, rundes, rot umrandetes Schild mit einem schwarzen Motorrad und ich erinnere mich das hier Eingeborene für eine Streckensperrung gesorgt haben.
Danke Herr Schulte!
Ich werde langsamer und Dude, mein Hintermann, erkennt wohl meine Unsicherheit hier vielleicht etwas Unrechtes zu tun und befiehlt mir über Intercom die sofortige Wiederaufnahme der Reisegeschwindigkeit. Klar, okay, 20€ habe ich dabei. Da soll mich nochmal jemand Mäc nennen.
Kurz vor dem Ziel sehen wir auf einem kleinen Hof neben der Straße eine Gruppe Einheimische die sich in einem Halbkreis aufgestellt haben und, ich traue meinen Augen nicht, mit Sensen wohl so eine Art Kriegstanz durchführen, nach sauerländer Art, also emotionslos. Mir wird mulmig, was bereiten die da vor?
Ankunft Hallenberg, Haus zur Sonne. Wir bekommen noch mit, das zwei Rotten zur Erspähung der Gegend abfahren. Alle anderen Rotten haben bereits zuvor das Camp verlassen. Nur wenige halten die Stellung und wir haben die erste Möglichkeit ein paar Gesichter hinter den Nicknamen kennenzulernen. Ein „Servicewagen“ ist ebenfalls vor Ort.
Neuer Treffpunkt : Weser Rhein-Weser-Turm. Wir machen uns auf den Weg, mit Servicewagen, was für ein Luxus, den uns da Usher beschert, hatte er hier schon eine Ahnung was noch kommt?
Dude führt nun die Rotte an, die schnell durch die kurvigen Landstraßen führt, so schnell, das ich keine Zeit finde um abzulesen wie schnell.
Unterwegs bekommen wir von einem weiteren Einheimischen den Mittelfinger gezeigt. Obwohl ich mir nicht ganz sicher bin ob es tatsächlich der Mittelfinger war. Ich meine sechs Finger an seiner Hand gezählt zu haben, was den Thesen der genetischen Mutation in dieser Gegend Nachdruck verleiht.
Ein Blick in den Rückspiegel läßt mich erstarren. Die gelbe Ducati ist weg! Notruf über Intercom an Dude….Stoppen…Umdrehen…Niemand wird hier in dieser Gegend allein gelassen. Alle sind angespannt, mir schwirrt die Gruppe Einheimische mit den Sensen durch den Kopf, sind die etwa auf Beutezug ausgeschwärmt? Zum Glück kommt uns die Duc nach wenigen hundert Metern entgegen, in Schleichfahrt, scheinbar angeschlagen. Hat das Urvolk hier zugeschlagen?
Wir sammeln uns, geschützt in einer Waldschneise. Die Fehleranalyse weißt ein fehlendes Verbindungselement am Schaltgestänge der Ducati auf. Eine Ducati, die Schrauben verliert…. damit konnte nun wirklich keiner rechnen, jegliche Vorbereitungen diesbezüglich wären bei der Planung dieser Expedition als lächerlich gezogen worden.
Ca. 300 Meter Luftlinie von uns entfernt liegt ein kleines landwirtschaftliches Anwesen, das über einen schmalen Weg zu erreichen ist. Der Plan: Schraube und Mutter besorgen.
In dieser Situation werden normalerweise Streichhölzer gezogen, der das kürzeste zeiht muss sich wohl oder übel auf dieses Himmelfahrtskommando einlassen. Aber es gibt noch wagemutige Helden die sich freiwillig in lebensbedrohliche Situation begeben um die Gruppe zu retten. Derda setzt sich eiskalt, ohne mit der Wimper zu zucken auf seine Maschine und fährt vorsichtig auf diesen unheimlichen Bauernhof. Er fährt hinter das Gebäude. Wir können ihn nicht mehr sehen, er ist jetzt auf sich alleine gestellt. Der Motor verstummt….Hundegebell…Stille…..sehr lange Stille. Wir sind angespannt. Ich denke darüber nach wer von uns wohl hier Netz hat um Hilfe zu rufen, und wer von uns die schwere Aufgabe übernehmen sollte die Angehörigen zu informieren.
Nach gefühlten 15 Minuten sehen wir Derda wie er den Hof verlässt, zu Fuß! In einem Stück, kein Blut, er humpelt auch nicht. Er hat es tatsächlich geschafft die notwenigen Verbindungselemente incl. Werkzeug zu beschaffen. Was für ein Kerl ! Seinen Mut möchte ich haben! Wir werden ihn bei Zeiten für eine Ehrung vorschlagen. Ach ja, das Bike….als Pfand für eine Ring-Maulschlüssel musste es auf dem Hof bleiben. Oder anders gesagt, Derda muss nochmal dahin. Ich hoffe es ist keine Falle.
Die Ducati ist schnell repariert. Ich bin begeistert wie schnell sich die seitliche Verkleidung über drei Fixpunkte demontierten läßt. Im Gegensatz zur F-Version unsere Gixxer ein Kinderspiel. Gut, da muss man wohl auch nicht so oft dran, da bewundere ich die Weitsicht der italienischen Ingenieure.
Es kann weitergehen, Manni führt die Rotte an. Doch sein Navi erweißt sich als „ausbaufähig“ und wir fahren in einen unscheinbaren Seitenweg….Sackgasse….Schon wieder so ein Ort wo ich nicht sein möchte….Mamaaa!
Dude übernimmt wieder die Spitze und wir erreichen endlich den Treffpunkt Rhein-Weser-Turm.
Endlich, diesmal ergibt sich die Möglichkeit noch deutlich mehr Gesichtern den Nicknamen des Forums zuzuordnen.
Ich fühle mich in Sicherheit und bekomme Appetit. Pommes-Currywurst-Mayo….das ist jetzt genau das Richtige….7,50€…. Da ist er wieder, der Mäc in mir…“Eine Bratwurst im Brötchen bitte, mit Senf“….4€ gespart.
Es geht wieder los, zur Basisstation, rottenweise und zeitversetzt. Das ist die heutige Taktik, irgendeine Gruppe wird immer durchkommen. Ich darf die Rotte wieder anführen. Türkisch Rossi hat entschlossen sich alleine in die Heimat durchzuschlagen. Wir wünschen ihm, daß er es ohne weitere Zicken seiner Diva schafft.
Am späten Nachmittag erreichen wir wieder die Basis, jetzt bekommen alle Nicknamen ihre Gesichter. Nach einigen Unterhaltungen bereue ich es, das ich nicht hier campieren werde.
Eine tolle Truppe die eines verbindet: Die Liebe zum Hobby, egal welche Marke, wie viel PS und aus welchem Land. Diese Maschinen haben alle eines gemeinsam, sie vertragen kein Diesel.
Wir machen uns zu dritt auf die Rückfahrt, JDF und Manitu haben schon früher die Heimreise angetreten. Ein toller Tag geht zu Ende.
Mitten auf der Heimfahrt bekomme ich doch noch meine Pommes-Currywurst-Mayo…4,20€ …Läuft!